Individuelle Vermögensverwaltung / Marktanalysen
Gründe für die britische Wachstumsschwäche im dritten Quartal
Für die Märkte ist Gegenwind im Vereinigten Königreich nichts Neues.
Redaktioneller Hinweis: Fisher Investments GmbH ist politisch neutral und begünstigt weder eine politische Partei noch einen bestimmten Politiker. Wir bewerten Ereignisse ausschliesslich nach ihren potenziellen wirtschaftlichen und marktbezogenen Auswirkungen.
Im Vereinigten Königreich wurden jüngst die letzten Daten zum Bruttoinlandsprodukt (BIP, eine von einer Regierung veröffentlichte Kennzahl für die Wirtschaftsleistung) veröffentlicht, bevor Schatzkanzlerin Rachel Reeves in der nächsten Woche ihren Haushalt vorstellen wird. Unserer Meinung nach sind die Zahlen enttäuschend. Das schwache Wachstum im dritten Quartal blieb hinter den Erwartungen zurück und war die schlechteste Entwicklung seit der Kontraktion im vierten Quartal 2023.[i] Allerdings glauben wir nicht, dass die verhaltenen Ergebnisse für das dritte Quartal oder deren zugrundeliegenden Ursachen eine unerwartete Belastung für den Aktienmarkt bedeuten.
Insgesamt halten wir die Zahlen für mittelmässig. Das BIP erhöhte sich um 0,1 Prozent im Vorquartalsvergleich (0,3 Prozent annualisiert), wobei Staatsausgaben und Investitionen am stärksten zum Wachstum beitrugen.[ii] Das ist unserer Ansicht nach nicht unbedingt schlecht, da staatliche Massnahmen üblicherweise nach und nach der gesamten Wirtschaft zugutekommen. Jedoch wurde damit eine gewisse Schwäche im Privatsektor kaschiert. Positiv anzumerken ist, dass die Ausgaben der privaten Haushalte von annualisiert 0,4 Prozent im zweiten Quartal auf nunmehr 0,7 Prozent gestiegen sind.[iii] Doch die Unternehmensinvestitionen gingen erneut zurück, sodass sich der im zweiten Quartal verzeichnete Einbruch um 4,3 Prozent mit einem weiteren Rückgang um 1,0 Prozent fortsetzte.[iv] Der Nettohandel kam positiv zum Tragen, jedoch nur, weil die Importe (die die Binnennachfrage abbilden und bei der BIP-Berechnung von den Exporten abgezogen werden) noch stärker sanken als die Exporte. Die einzige gute Nachricht war, dass die Konsumnachfrage die Warnungen widerlegte, wonach Unternehmen die Steuererhöhungen vom April an die Verbraucher weitergeben würden und dadurch die Wirtschaft schwächen könnten.[v]
Doch unseren Analysen zufolge reagieren die Aktienmärkte weniger auf die harten Zahlen, sondern vielmehr auf die Diskrepanz zwischen Wirklichkeit und Erwartungen. Damit meinen wir nicht primär den Vergleich von Gesamtraten und Konsensschätzungen, sondern die allgemeine Stimmung – Schlagzeilen, Narrative und das gesellschaftliche Klima. Die Erfahrung zeigt, dass diese oft düsterer ausfallen kann, als von den Modellen der Ökonomen antizipiert wird. In allen britischen Publikationen spiegelt die wirtschaftliche Berichterstattung eine deutlich trübere Stimmung wider als die Konsensprognosen.
Aus Sicht der Märkte stellt sich nun weniger die Frage, inwiefern das dritte Quartal mit den Prognosen übereinstimmt oder nicht, sondern wie die Entwicklung in das allgemeine Narrativ passt. Es bietet sich uns ein uneinheitliches Bild. Eine weit verbreitete Meinung, der sich auch Reeves angeschlossen hat, besteht darin, dass die Schwäche im dritten Quartal auf einen Cyberangriff auf einen wichtigen Automobilproduzenten zurückzuführen ist, der wichtige Produktionslinien lahmgelegt hatte.[vi] Die Aufschlüsselung des BIP nach Sektoren, die einen annualisierten Rückgang der Industrieproduktion um 3,1 Prozent und einen Anstieg im Dienstleistungssektor um 0,8 Prozent ausweist, scheint diese Einschätzung zu unterstützen.[vii] Wir denken jedoch nicht, dass Produktionsausfälle einen Rückgang der Unternehmensinvestitionen erklären.
Hier eine plausiblere Erklärung: Unseres Erachtens herrscht derzeit eine hohe Unsicherheit, was insbesondere auf den oben bereits erwähnten Haushalt zurückzuführen ist. Bereits seit Monaten wird über drastische Steuererhöhungen diskutiert.[viii] Dabei lag der Fokus zwar hauptsächlich auf Privatpersonen, doch wenn die Angst vor Steuererhöhungen den allgemeinen Zeitgeist bestimmt, neigen auch die Unternehmen zu Nervosität, da sie befürchten, ebenfalls davon betroffen zu sein. Die Erkenntnis, dass sich die Steuerlage ändern könnte – sei es durch direkte Erhöhungen oder Änderungen bei Anlagefreibeträgen, Abschreibungen und anderen Facetten des Steuerrechts – kann bereits viele zu einer abwartenden Haltung bewegen, ohne dass sie weitere Einzelheiten kennen. Damit wollen wir keineswegs andeuten, dass das britische Finanzministerium ein Paket zusammenschnürt, das die Unternehmen übermässig stark belastet. Es kann jedoch schwierig sein, die voraussichtliche Anlagerendite zu berechnen, wenn hinter der Spalte «Steuern» ein Fragezeichen steht – oder sogar mehrere. Dann erscheint es möglicherweise sehr sinnvoll, ein paar Monate abzuwarten, bis diese Fragezeichen durch konkrete Zahlen ersetzt werden können.
Die Aktienmärkte sind über all dies genau im Bilde. Es ist davon auszugehen, dass sie in dem Versuch, die Auswirkungen abzuschätzen, alle Analysen des Schatzamts sowie sämtliche Prognosen und Einschätzungen zur Kenntnis genommen haben, zumal diese allgemein verbreitet wurden. Darüber hinaus ist die Unsicherheit der Unternehmen ebenfalls ein wohl bekanntes Thema, das in vielen Umfragen, Branchenberichten und Interviews mit Führungskräften behandelt wird. Unsere Analysen signalisieren, dass die Märkte alle weithin bekannten Informationen widerspiegeln, und obwohl diese Unsicherheit zweifellos ein allgemeiner Negativfaktor ist, hat sie britische Aktien nicht davon abgehalten, weiterhin neue Höchststände zu
Das war die schlechte Nachricht. Was aber ist die gute Nachricht? Wir gehen davon aus, dass die nachlassende Unsicherheit den Märkten zugutekommt, und wir sehen viel Spielraum für einen Rückgang der Unsicherheit im Vereinigten Königreich. Wir vermuten, dass dies bereits die wichtigste Auswirkung des Haushaltsplans für den Markt sein könnte: Die Unklarheiten für alle beseitigen, sodass jeder den nächsten Schritt unternehmen kann. Dazu gehört auch, dass die Unternehmen ihre Renditen berechnen, die besten künftigen Projekte erkennen und einfach weiter voranschreiten können. Dies wird wohl nicht sofort zum Tragen kommen, da die Hinterbänkler der Labour-Partei nicht mit Steuererhöhungen einverstanden sind und sich erneut Widerstand gegen Premierminister Keir Starmer formiert.[xi] Berichten zufolge hat Reeves mittlerweile von der geplanten Erhöhung der Einkommenssteuer Abstand genommen.[xii] Nach der Vorlage des Haushalts könnte es bis hin zu seiner endgültigen Verabschiedung weitere Rückzieher oder aber auch die Absage von Rücknahmen oder Ähnliches geben. Somit dürfte die Unsicherheit eher schrittweise abnehmen, insbesondere falls sich die Auseinandersetzung mit den Hinterbänklern zu einer Herausforderung für Starmer als Parteivorsitzenden entwickelt (was derzeit noch nicht absehbar ist). Sollten in der Folge allerdings die erwarteten Steuererhöhungen abgeschwächt werden, so begrüssen wir dies ebenfalls als eine positive Entwicklung.
[i] Quelle: FactSet, Stand: 13.11.2025. Vereinigtes Königreich, BIP, vierteljährlich, viertes Quartal 2023 – drittes Quartal 2025.
[ii] Ebd. Das annualisierte Wachstum ist die Rate, um die das BIP über ein ganzes Jahr hinweg steigen oder sinken würde, wenn die im Quartal gemeldete Wachstumsrate über vier Quartale hinweg unverändert bliebe.
[iii] Ebd.
[iv] Ebd.
[v] «Budget Will ‹Hit a Lot of Small Businesses›», Robert Trigg und Will Jefford, BBC, 31.10.2024.
[vi] «Cyberattack on Car Manufacturer Hits UK Growth in Q3 Ahead of Crucial Budget», Pan Pylas, Associated Press, 13.11.2025.
[vii] Quelle: FactSet, Stand: 13.11.2025.
[viii] «With Tax Speculation Festering, Rachel Reeves Needs to Show Her Hand», Richard Partington, The Guardian, 24.08.2025.
[ix] Quelle: FactSet, Stand: 13.11.2025. Aussage basiert auf der seit Jahresbeginn erzielten Rendite des MSCI UK IMI Index mit Bruttodividenden in GBP. Wechselkursschwankungen zwischen dem Pfund Sterling und Lokalwährungen können zu höheren oder niedrigeren Investmentrenditen führen.
[x] Ebd. Aussage basiert auf der seit Jahresbeginn erzielten Rendite des MSCI UK IMI und MSCI EMU Index, jeweils mit Nettodividenden in GBP und EUR. Wechselkursschwankungen zwischen dem Pfund Sterling, dem Euro und Lokalwährungen können zu höheren oder niedrigeren Investmentrenditen führen.
[xi] «Labour Infighting Puts Chancellor’s Budget Plan to Reassure Bond Markets at Risk», Heather Stewart, The Guardian, 12.11.2025. «Starmer Will Fight Attempts to Replace Him, Allies Say», Chris Mason und Henry Zeffman, BBC, 12.11.2025.
[xii] «Rachel Reeves Plans £7.5bn Tax Rise in Budget After U-Turn on Income Tax Rates», Kiran Stacey, Richard Partington und Rowena Mason, The Guardian, 14.11.2025.
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